Dienstag, 16. Juni 2015

Eine ergänzende Bildbeschreibung zu Dürers „Marienleben“

Im Grunde handelt es sich um die Bildbeschreibung eines der Holzschnitte des Marienlebens“ Albrecht Dürers (1471-1528), nämlich „Der Verkündigung an Maria“. Dieser Holzschnitt beinhaltet viele wesentliche Neuerungen, die Dürer mit seinem Werk befördert hat, und ist dergestalt eine Ergänzung zum Blogeintrag „Die BedeutungDürers und sein ,Marienleben‘“ vom 09.06.2015.
picti mundi
Albrecht Dürer: Marienleben. Die Verkündigung an Maria.

Der dargestellte Bildraum öffnet sich durch einen Rundbogen und gibt einen dahinter liegenden lichtdurchfluteten, hallenarchitektonisch gestalteten Raum frei. Hinter dem zentralperspektivisch gestalteten Durchblick ist der Raum, in dem sich die Handlung zu vollziehen scheint, eingerichtet. Es lassen sich insgesamt vier Rundbögen erkennen, ein großes Fenster im Hintergrund sowie ein kleines am rechten Bildrand. Auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich ein erhöhter Eingang, der über eine Treppe mit dem tieferliegenden Laufhorizont des Raumes verbunden wird. Dieser wirkt hauptsächlich durch die zur Schaustellung der Architektur und der perspektivischen berechnend durchdachten Anordnung der Linien, als durch Mobiliar oder sonstige raumschmückende Elemente. Die wenigen Gegenstände, die auf dem Holzschnitt erkennbar sind, die Treppe, der Baldachin und Marias Betpult, dienen weniger der perspektivischen Darstellung der Zeichnung als vielmehr einer im Bild untergebrachten christlichen Symbolik.

Das Hauptgeschehen bilden die von Dürer zentral platzierten Personen Maria und der der Erzengel Gabriel. Dieser hat den Vorhang zu Marias Betpult aufgezogen und scheint eiligen Schrittes auf die Jungfrau zugeeilt zu kommen, um ihr die Verkündigung zu überbringen, welche Maria mit frommer demütig wirkender Geste entgegennimmt. Außerhalb des Raumes, im Hintergrund der Szenerie, befindet sich Gott auf einer Wolke sitzend. Hier soll nun eine genauere Bildbeschreibung und Analyse der christlichen Symboliken erfolgen. Zuerst steht das Hauptgeschehen im Vordergrund, bevor anschließend die Gesamtbetrachtung der Illustration von oben nach unten, fortgeführt werden wird. Wie bereits beschrieben nähert sich der Erzengel Gabriel der Gottesmutter um seinen Auftrag auszuführen. Zur Identifizierung seiner Person dient der zuständige Vers des Lukasevangelium (Lk. 26-38), als auch seine Attribute. Diese sind seine Flügel sowie  der Botenstab oder der Lilienstängel, welchen er aufrecht in seiner linken Hand hält und der ihn als Götterbote preisgibt. Ebenso der einer Krone oder einem Diadem ähnelnde Kopfschmuck, welchen er als gesandter des Himmelreiches auf dem Haupt trägt.[1] Seine göttliche Botschaft, verkündet der Erzengel Gabriel durch den in der christlichen Religion ausgeübten üblichen Segnungsgestus, welchen er mit seiner rechten Hand ausübt. Durch die Rolle als Botschafter Gottes wird er hier zum sogenannten Deuteengel, lat. auch „angelus interpres.“[2] Ihm gegenüber befindet sich Maria, die sich mit ihren Armen bekreuzigt und mit dieser Geste als auch mimisch mit einem frommen Lächeln und nach unten geneigtem Kopf, die Botschaft entgegennimmt. Über ihr schwebt der Heilige Geist in Gestalt einer Taube, dessen heilige Erscheinung von Dürer durch ein angedeutetes Leuchten oder Strahlen dargestellt wird. Vor ihr befindet sich das Betpult mit Gebetbüchern, wovon eines aufgeschlagen daliegt und möglicherweise als Bibel zu identifizieren ist. Diese Interpretation ist sinnig, da die Verkündigung im Alten Testament durch den Propheten Jesaja mit den Worten, „darum wird euch der Herr selbst ein Zeichen geben: Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel, “[3] (Jesaja 7, 14) angekündigt wird. Hinter Maria befindet sich der Betstuhl, welcher von einem Baldachin abgetrennt ist. Dies, ein Hoheitssymbol aus der antiken Kaiserikonographie, weist möglicherweise durch den geöffneten Spalt auf die verheißende Erscheinung Gottes in der Welt hin.[4] Zur Identifizierung Marias als unbefleckte jungfräuliche Empfängerin und zukünftige Mutter des Gottessohnes, Jesus Christus, dient die im Vordergrund am Sims des Rundbogens angebrachte Lilie. Diese ist ein typisches Attribut Marias in der Bildenden Kunst und ein Symbol für ihre Reinheit und Frömmigkeit.

Im oberen Bildbereich befinden sich die Rundbögen, welche mit großen Quaderblöcken gestaltet sind. Aufgrund der Anzahl, dreizehn Blöcke, werden diese von Dornik-Eger als Jesus und die zwölf Jünger interpretiert.[5] Da sich aber keine weiteren Hinweise auf das Vorhandensein der Jünger in diesem Bild finden lassen, ist eine genaue Aussage darüber, ob dies nun Zufall ist oder von Dürer beabsichtigt wurde, schwierig zu treffen. Weitere architektonische Bauelemente, die das mögliche Vorhandensein von Heiligkeit implizieren, sind außerdem die drei, im Gebälk platzierten kreisrunden Öffnungen, die auf die Trinität, die heilige Dreifaltigkeit, hinweisen. Eindeutiger kann die unter dem Dachstuhl dargestellte heroische Gestalt der Heiligen Judit mit Schwert und Kopf des Holofernes (Judit 1-16) benannt werden.  Diese Darstellung hat eine lange Tradition und ist bis heute ein beliebtes Thema in der Malerei. (Beispiele; Michelangelo, Caravaggio, Artemisia Gentileschi, Gustav Klimt; Abbildungen 9,10,11,12). Unterhalb der Heiligen Judit, außerhalb des Raumes, befindet sich der Gottvater, sitzend auf einer Wolke, womöglich als Lenker der Geschicke. In diesem äußeren Bereich befindet sich außerdem die Darstellung einer Landschaft mit Bäumen und einem Gebäude. Um was für eine Art von Gebäude es sich handelt ist nicht genau nachgewiesen, jedoch lassen die Bauweise sowie die Entstehungszeit und die damit verbundene Italienreise Dürers, möglicherwiese auf die gezeichnete Wiedergabe eines antiken Tempels schließen. Wieder innerhalb des primären Betrachtungsraumes befinden sich zwei Ankerbalken, die eine räumliche Abgrenzung schaffen. Vor allem der hintere Balken weist diese Eigenschaft auf, da er sich durch seine Anordnung optisch genau zwischen Gott und Maria befindet. Die Bedeutung dieser Darstellung ist nicht sicher geklärt, lässt aber die Vermutung zu, dass es sich hierbei um die beabsichtige Teilung der himmlischen Sphäre und der weltlichen handelt.[6] 
Albrecht Dürer: Marienleben. Impressum und Nachdruckverbot.
Links unterhalb auf einem Sims des Ankerbalkens befindet sich ein Kerzenständer mit einer Kerze. In der christlichen Symbolik bringt dieser Licht und Leben und verkörpert in Verbindung mit dem ewigen Licht die Anwesenheit Gottes.[7] 

Albrecht Dürer: Mariens Verehrung.
Dies ist ein von Dürer bewusst in verschiedenen Szenen des „Marienlebens“ eingesetztes Element. Zum einen wohl aus den profanen Zwecken der Raumausschmückung, zum anderen aber sicherlich auch um das Wirken heilig erscheinen zu lassen. Zwischen Kerzenständer und dem Treppengeländer befindet sich ein Weihwasserspender oder auch Wasserkessel, welcher über einem Waschbecken angebracht ist, und ebenfalls die Reinheit und Makellosigkeit Marias symbolisiert, sowie die Geburt Jesu. Die sieben Stufen der bereits erwähnten Treppe stellen möglicherweise die sieben Gaben des Heiligen Geistes dar, fallen aber ebenfalls in die Kategorie der nicht genau identifizierbaren Symbole, da auch hier keine eindeutigen Hinweise auf einen christlichen Zusammenhang gegeben sind. Nach Strauss deuten die Treppenstufen auf den Pfad zum Himmel hin. Unterhalb der Treppe befindet sich ein Wesen, von dem nur der Kopf zu erkennen und das mit einer Kette an der Wand befestigt ist. Die Interpretation, ob es sich um ein reales Tier oder ein Fabelwesen handelt, ist aufgrund des begrenzten Ausschnittes nicht klar. So wird dieses in der Literatur durchaus kontrovers betrachtet und mit den unterschiedlichsten Deutungsansätzen versehen. So ist bei Heller die Rede von zwei Schweinen, Tietzes sieht in ihm einen ägyptischen Kynekephalos, Timm identifiziert es als Dachs- oder Wildschweinkopf und Fehl als einen Dachs mit den Stacheln eines Stachelschweines.[8] Eisler liefert hier die wohl plausibelste Interpretation, welcher in dem Wesen einen Fuchs vermutet.[9] Bei Betrachtung der schriftlichen Quellen als auch anderer mittelalterlichen Illustrationen ist dies auch eine nicht unwahrscheinliche Vermutung, da das Wesen vermutlich die Darstellung eines Wesens ist, das zu Dürers Lebzeiten sowohl Thema in der Kunst, in Religion und im Alltagsleben war. Ein Beispiel hierfür ist der Wolf oder auch der bereits erwähnte Fuchs, welcher bereits in früheren mittelalterlichen Illustrationen als ernstzunehmende Plage der Bauern beschrieben wird. Im Stundenbuch der Charlotte von Savoyen, aus dem 15. Jahrhundert lassen sich zum Beispiel Darstellungen finden, in denen der Fuchs als reales Übel und Gefahr für das Vieh geschildert wird. 
Albrecht Dürer: Der Fuchs und die Zeit drehen das Glücksrad.
Die Darstellungen des Wolfs lassen sich in diesem Zusammenhang ebenfalls finden, wie im Stundenbuch von Rouen. Darüber hinaus finden sich in der Bibel ebenfalls einige Passagen, die den Wolf als das Böse in Erscheinung treten lassen. Im Alten als auch im Neuen Testament lassen sich eine Vielzahl von Erwähnungen finden, in denen der Wolf als Metapher für das Böse verwendet wird. Das geläufigste Beispiel dürfte wohl der Vers „siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe“[10] (Mt. 10, 16) aus dem Matthäusevangelium sein. Die Identifizierung als Fabelwesen mit regionalem Bezug, dessen sich Dürer bediente, ist schwierig nachzuweisen, aber sicherlich möglich. 

Natürlich bleibt dieser Interpretation, wie auch alle anderen Vorschläge, nur ein möglicher Erklärungsversuch. Zur Bedeutung des Wesens liefert Eisler den Vorschlag, es stelle als Fuchs die Verkörperung des gebändigten Bösen dar. [11] Betrachtet man sich darüber hinaus weitere Werke Dürers, so bestätigt sich diese Vermutung. Der Fuchs ist bei Dürer eine immer wiederkehrende Tierdarstellung so zum Beispiel in seinem Holzschnitt „Der Fuchs und die Zeit drehen das Glücksrad“, in welchem die Ähnlichkeit des zum dargestellten Tier im Holzschnitt der „Verkündigung an Maria“ nicht zu übersehen sind. Besonders auffällig und übereinstimmend in Bezug auf die Bedeutung des Fuchses ist die Illustration in Dürers Malerei „Maria mit den vielen Tieren“, auf welcher der dargestellte Fuchs, am unteren rechten Bildrand, ebenfalls angekettet ist und erstaunlich große Ähnlichkeiten mit der Darstellung des Tieres in der Verkündigungsszenerie aufweist. 
Albrecht Dürer: Maria mit den vielen Tieren.
Auch wenn mit den hier genannten Aspekten keine abschließende Klärung der Frage, um was für ein Wesen es sich handelt und welche Bedeutung ihm zukommt erfolgen kann, liefern die, auch wenn nur kurz ausgeführten unterschiedlichen Betrachtungen, zumindest die Möglichkeit ein wenig Klarheit in diese Frage bringen.

Dieser Beitrag wurde verfasst von Philippe H.



[1] Vgl. Lucchesi Palli, Elisabeth. Lexikon der christlichen Ikonografie. 1990. Bd. 2. S. 75.[2] Vgl.  http://www.bibelwissenschaft.de/bibelkunde/themenkapitel-at/engel-im-at/[3] Die Bibel. 1999. S. 675.[4] Vgl. Scherbaum, Anna: Albrecht Dürers Marienleben. 2004. S. 147.[5] Vgl. Scherbaum, Anna: Albrecht Dürers Marienleben. 2004. S. 148.[6] Vgl. Scherbaum, Anna: Dürers Marienleben. 2004. S. 146.[7] Vgl. Brückner, Wolfgang: Lexikon der christlichen Ikonografie. 1990. Bd. 2. S. 507.[8] Vgl. Scherbaum, Anna: Dürers Marienleben. 2004. S. 148.[9] Vgl. Eisler, Colin: Dürers Arche Noah. 1996. S. 123.[10] Die Bibel. 1999. S. 14.[11] Vgl. Eisler, Colin: Dürers Arche Noah. 1996. S. 123.

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