Es geht hier nicht um Pornografie oder um entkleidete
Körper beziehungsweise den Beischlaf als Bestandteil eines Comics, dem
innerhalb der zu erzählenden Geschichte eine Funktion zukommt, sondern um
erotische Darstellungen abseits der jeweiligen Handlung, die dem Prinzip
"Sex sells" folgen. Auch wenn inzwischen behauptet wird, dass dieses
Prinzip heutzutage nicht mehr, wie früher, zu funktionieren scheint. Darstellungen also, die im Manga- und Animebereich als
"fan service" oder als "service cut" bezeichnet würden.
Der Splitter-Verlag hat einige Titel mit einer solchen Ausrichtung in
seinem Programm, was nicht heißen soll, dass der Splitter-Verlag nur derartige
Comics veröffentlicht, ganz und gar nicht. Das Programm des Verlages ist
äußerst divergent, nur zählen eben auch solche Titel zu ihm. Bei diesen Titeln handelt
es sich zwar überwiegend um übersetzte französische Comics und nicht um direkte
Auftragsarbeiten des Verlages, dennoch ist die Auswahl Sache des Verlages. Es
soll auch keinesfalls gesagt werden, dass Geschichten, in denen
Geschlechtlichkeit ohne narrative Funktionen offeriert wird, schlecht seien,
hiervon kann gleichfalls keine Rede sein, denn - wie bei allen anderen
Kunstformen - variiert die ästhetische und erzählerische Qualität solcher
Werke. Da das Programm des Splitter-Verlages sexuell aufreizende Abbildungen, die keine
Funktion für die Handlung innehaben, wie auch das gesamte Verlagsprogramm, doch
durchaus umfangreich ist, wird in diesem Blogeintrag lediglich auf einige Titel
eingegangen werden können. Diese Titel sind die künstlerisch besonders
auffällig oder erzählerisch herausragenden dieses „Genres“. Dass es diese erregenden Darstellungen oder zumindest
solche, die ebendies zu tun gedenken, gibt, wundert wenig. Was an einer Aussage
über Hefte der Science Fiction, die aber wohl auch für die Comicwelt eine gewisse
Richtigkeit besitzt, deutlich zu werden scheint. Denn „[m]erkwürdigerweise verkaufen
sich indes jene […]Magazine am besten, auf deren Titelbildern sexy gekleidete
junge Frauen von Robotern und Monstern angegriffen werden.“*1
Aber bevor das Augenmerk auf diesen Aspekt der
jeweiligen Geschichte gelegt werden wird, soll erst einmal kurz der Inhalt des
einzelnen Comics und dessen Bildgestaltung hier erläutert werden.
Der Comic „Azimut“, der von Wilfrid Lupano (1971-) und Andreae stammt
und dessen zweiter Band gerade bei Splitter erschienen ist, erzählt in fantastischen
Bildern, die unter anderem an den „Schmetterlingsfänger“ von Carl Spitzweg (1808-1885) denken lassen, eine wunderliche Geschichte, in der Zeit nicht nur
im übertragenen Sinne gestohlen und gekauft werden kann.
Die Funktionsweise und die ordnende Struktur der
fiktionalen Welt der Comicserie „Sky Doll“ von Alessandro Barbucci (1973-) und BarbaraCanepa (1969-) lassen sich mit einem literarischen Zitat von James Joyces
(1882-1941) ausdrücken. Dieses Zitat lautet:
Die Kirche kennt den Wert ihrer Zeremonien genau: ihr Priester muß sich jeden Morgen vor dem Tabernakel hypnotisieren. Wenn ich jeden Morgen aufstehe, mich vor den Spiegel stelle und mir sage ,Du bist Gottes Sohn‘, dann werde ich nach zwölf Monaten Jünger haben wollen.*2
In „Sky Doll“ werden nach und nach verschiedene
Handlungsstränge miteinander verquickt und solcherart auch die
unterschiedlichen Hauptfiguren dieses Comics, die mehr oder weniger dieser Bezeichnung gerecht
werden, jedoch ihre Funktion und ihren Anteil für und an der Gesamtkonzeption
dieser mehrbändigen Geschichte besitzen. Etwa eine Sky Doll, eine
menschenähnliche Maschine, mit dem Namen Noa, die Nachrichtensprecherin Frieda
Dezibel, zwei Freunde, die wie Kurierfahrer wirken und von sich behaupten, dass
sie in einer diplomatischen Mission im Auftrag der Kirche unterwegs sind, die Hohepriesterin
Ludowika, ihr Meister der Wunder und die verschwundene Päpstin Agape, die noch
immer renitente Anhänger hat, gegen die Ludowika vermittels ihrer Unterstützer
vorgeht.
„Ekhö – Spiegelwelt“ berichtet von den Erlebnissen der
Studentin Ludmilla Tiller und ihrem Sitznachbarn - einem Informatiker namens Juri
Podrov - in einer Parallelwelt, in der
sie sich nach einem Flugzeugunglück einer 747, die von Paris nach New York
hätte fliegen sollen, wiederfinden. Technik ist in dieser Welt durch Magie
ersetzt, doch mit Ausnahme der Preshauns - kleiner Nagetiere, die beinahe
unentwegt nach Tee dürsten und diese Welt verwalten - ist sie ein genaues
Abbild der realen irdenen Wirklichkeit.
Was man all diesen Geschichten mit Recht vorwerfen
kann, ist, dass sie sich nicht von einer "heterosexuelle[n] Fixierung des
Begehrens"*3 und den dadurch erzeugten "Gegensätzen zwischen
'weiblich' und 'männlich'"*4 lösen können. Vielmehr bürden sie all ihren
Protagonisten eine geschlechtlich determinierte
Identität auf, die eine "'Existenz' bestimmter 'Identitäten' aus[schließet],
nämlich genau jene, in denen sich die Geschlechtsidentität (gender)
nicht vom anatomischen Geschlecht (sex) herleitet und in denen die
Praktiken des Begehrens weder aus dem Geschlecht noch aus der
Geschlechtsidentität 'folgen'."*5
Die Konzeption der Figuren dieser Comics weicht zwar
mitunter von sonstigen stereotypen oder klischeehaften Darstellungen ab, dies
zuweilen auch äußerst intelligent, allerdings nicht in letzter Konsequenz,
sodass die Figuren sich hierdurch keineswegs von alten Mustern befreien können.
Vornehmlich bei den Figuren, bei denen der Aspekt der erotischen Darstellungen
abseits der jeweiligen Handlung am stärksten greift, ist dies am deutlichsten
festzustellen und dementsprechend auch in diesen drei hier thematisierten
Werken.
In „Azimut“ ist dieser Umstand besonders an der
weiblichen Hauptfigur ersichtlich, die im ersten Band als Damsel in Distress sich
zwar selbst befreit, für diese Befreiung jedoch ihre Reize offenkundig zur
Schau stellen muss und überdies als femme fatal und diebische Verführerin
gezeichnet wird, deren körperliche Reize es sind, die sie auch im zweiten Band zur handlungstragenden Figur machen und bedauerlicherweise nicht ihre überaus
interessante und vielschichtige Vorgeschichte und der Fakt, dass sie nicht zu
altern scheint. Auch an der Personifizierung der Wüste, im zweiten Band, tritt
in diesem Comic von Wilfrid Lupano und Andreae, eine sexuell
willfährige Verfüherin auf, bei der es wirkt, als könne sie nur durch ihre
weiblichen Attribute bestechen.
Während in „Azimut“ diese erotisierenden Anspielungen
und Darstellungen dezent in die ungewöhnliche und mitreißende Handlung gestreut
sind, wird selbige in „Ekhö – Spiegelwelt“ wiederholt in ihrer Entwicklung ab-
oder zumindest unterbrochen, um diese Verweise und Abbildungen in den Comic zu
integrieren. Von den drei hier genannten Titeln ist der Aspekt der
Funktionslosigkeit der Darstellungen und auch deren unverblümte zur Schaustellung,
auch wenn das Werk von Christophe Arleston, Alessandro Barbucci
und Nolwenn Lebreton versucht über eine Modellagentur einen Teil dieser
Anspielungen und Darstellungen in der Handlung zu legitimieren, mit Abstand am
größten. Zwar gäbe es in diesem Comic die Gelegenheit stereotypische Zu- und Beschreibungsmuster
infrage zu stellen beziehungsweise mit ihnen auf humorvolle Weise zu brechen,
nur werden diese nicht genutzt. Das wohl offensichtlichste Exempel in „Ekhö –
Spiegelwelt“ ist im zweiten Band auf den Seiten 10 und 11 zu finden, wenn der Geist
eines Mannes einen weiblichen Körper übernimmt.
Beauvoir
stellt fest, daß man zwar zur Frau ,wird‘ aber daß dies stets unter
gesellschaftlichem Druck geschieht. Und dieser Zwang geht eindeutig nicht vom
anatomischen Körper aus. Nichts in Beauvoris Darstellung garantiert, daß das
Wesen, das eine Frau wird, notwendigerweise weiblichen Geschlechts ist. Wenn ,der Leib eine Situation ist‘, wie Beauvoir sagt, so gibt es keinen Rückgriff
auf den Körper, der nicht bereits durch kulturelle Bedeutungen interpretiert
ist.*6
Die
gesellschaftliche Zuschreibung von Vorstellungen tritt auch im Comic „Sky Doll“ auf und wird den dort vorkommenden gleichnamigen Maschinen entgegen
gebracht.
Je „menschlicher“ das Äußere einer Maschine, desto leichter fällt es den Menschen,
mehr oder weniger angstfrei mit ihr umzugehen. Die Menschlichkeit der Maschine
macht sie vertrauenerweckend, erst einmal. […] Interessanterweise aber heißt „menschlicher“ immer auch Sex und Gender. Will der Mensch eine „emotionale“ Beziehung zur
Maschine herstellen, indem er sie menschlich erscheinen lässt, kann er die
Fantasie eines wechselseitigen Begehrens nicht unterbinden.*7
Was
in diesem Zitat zum Tragen kommt, bildet neben einer mannigfaltigen Geschichte
um Religion, Macht, Freundschaft, Familie und Liebe, eines der Gerüste dieses
Comics von Alessandro Barbucci und Barbara
Canepa. Es gelingt dieser Geschichte verschiedenartige Facetten von
Macht und Sex und Sex und Macht einzufangen, dies teils vage, teils äußerst
explizit und somit als einen Bestandteil der Handlung zu verhandeln, der Leserschaft hierbei
jedoch auch genug Platz für ihre eigene Auseinandersetzung mit dem Gezeigten
zu lassen.
Falls in diesem Beitrag möglicherweise an der einen oder anderen Stelle zu hart mit diesen drei Titeln ins Gericht gegangen worden sein sollte, dann nur deswegen, da diese genannten Comicserien durchaus lesenswert sind und sich nicht, wie viele andere Serien dies tun, lediglich durch erotisierende Elemente auf dem Markt zu behaupten versuchen.
Um darzulegen, dass es sich bei diesen in diesem Eintrag vorgestellten Titeln um keine Einzelfälle handelt, sollen hier noch einige (aber nicht alle) Werke des Splitter-Verlages genannt werden, bei denen erotische Darstellungen ohne eine direkte Beziehung zur Handlung gleichfalls vorkommen.
- Angor (Band 5 erschiem im März 2014)
- Atalante (Band 7 erscheint im August 2015)
- Gipsy (Band 6 erschien im Dezember 2012)
- Hans (Band 2 erscheint im Mai 2015)
- Marlysa (Band 13 erscheint im September 2015)
- Sasmira (Band 2 erschien im Oktober 2012)
- Storm (Band 28 erschien im September 2014)
- Sukkubus (Band 4 erschien im September 2014)
- Träume (Band 2 erschien im Dezember 2012)
- Wika (Band 1 erschien im November 2014) [...]
Um mich dergestalt einseitig zu sein, werden im Folgenden Splitter-Titel genant, bei denen die dargebotene Erotik essentiell für die Geschichte und deren Verlauf ist.
- Chimaira (Band 3 erscheint im Mai 2015)
- In Bed (erscheint im Mai 2015)
- Süße Versuchung (erschien im August 2014)[...]
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Verwendete Zitate:
*1 Georg
Seelßen: Future Sex in Queertopia. Sex-Fantasien in der Hightech-Welt III. Ort
Jahr. S. 24.
*2 James Joyce: Stephen der Held. Frankfurt am Main 1972. S. 147
*3 Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter. In: Das Unbehagen der Geschlechter. Franziska Bergmann, Franziska Schößler,
Bettina Schreck: Gender Studies. Bielefeld 2012. S. 146.
*4 Ebenda.
*5 Ebenda.
*6 Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter. S. 143.
*7 Georg Seelßen: Future Sex in Queertopia. S. 188 f.
Bei dem in diesem Beitrag verwendeten Bildern handelt es sich um Bildmaterial des Splitter-Verlages.