Dienstag, 30. Juni 2015

Gedanken zu ... Toriyamas "JACO - THE GALACTIC PATROLMAN"

Bei dieser Geschichte, die im Rahmen der "Toriyama Short Stories" beim Carlsen Verlag als fünfter Band dieser Reihe veröffentlicht wurde, handelt es sich um einen Manga von Toriyama Akira (鳥山 明, 1955-) aus dem Jahre 2013, der unter dem Titel "Ginga Patrol Jaco" (銀河パトロール ジャコ) erstmals im Weekly Shōnen Jump publiziert worden ist. 
In diesem Beitrag soll es aber nicht um die Handlung dieses Mangas gehen, diese kann entweder in selbigem Band gelesen oder gegebenenfalls auch im entsprechenden Wikipediaartikel nachvollzogen werden, vielmehr wird es hier um Eigenheiten Toriyamas und intermediale Verweise innerhalb dieser Geschichte gehen. 

Wie bereits bei Toriyamas früheren Werken sind es die detaillierten Darstellungen, vor allem was den Hintergrund angeht, die die Zeichnungen der einzelnen Panels von vielen anderen eher schlichter gehaltenen Mangazeichenstilen abgrenzen. 
In einem Interview des Jahres 1990 meinte er hierzu: „Am meisten beeindrucken mich jedoch Landschaften, wie sie in Dokumentarfilmen über große und unbekannte Gebiete gezeigt werden. Sie sind noch großartiger als das, was ich mir ausdenke, ich muss mich jedes Mal geschlagen geben. Reale Landschaften sind häufig toller als fantastische.“ (TWS, S.5) 
© Carlsen
Dass hingegen die gesamte Handlung irreal ist und in einer Welt spielt, die zwar unserer gleicht, aber nicht mit ihr identisch sein kann, wird der Leserschaft bereits mit den ersten Panels und dem dort abgebildeten UFO, dem Mond und dem Erzählerkommentar klar zu verstehen gegeben. Dieser Umstand findet sich in jedem Werk Toriyamas und er erklärte selbst: „Phantasiewelten machen alles viel einfacher. Würde ich meine Geschichten in der wirklichen Welt spielen lassen, müsste ich viel mehr recherchieren, damit alles möglich echt wirkt. Ich finde, wenn man sich davon befreit, kann man viel mehr herumspielen und zeichnen, was immer einem gerade gefällt. Darum ziehe ich Phantasiewelten vor.“ (DB 1, S.177) 

Derart verwundert es wenig, dass in einem Panel "JACOs" ein Schweinchen an einer Hundeleine (S.82) ausgeführt wird. Dieses Schweinchen hat bei genauerer Betrachtung jedoch weitaus mehr als nur eine staffierende Funktion. Es wird zudem über eine Mauer herab auf das Geschehen unter ihm schauend gezeigt (S.84). Allerdings ist das Schweinchen in die Handlung nicht mit einbezogen und scheint dementsprechend - dem Zuschauer gleich - das Gezeichnete zu beobachten. In der Abbildung dieses Schweinchens und dem unmittelbaren Wechsel seiner Postion - die nur dann stringent sein kann, wenn es sich um zwei identisch aussehende Schweine oder aber um ein Schwein handelt, dass nicht direkt mit der Geschichte und deren Kausalität verknüpft ist - wird hier im Hintergrund eine selbstreflexive Darstellung gezeigt. Dass diese Behauptung nicht eine zufällige und unhaltbare ist, wird deutlich, wenn berücksichtigt wird, dass es weitere selbstreflexive Stellen in "JACO" gibt.
In zwei metafiktionalen Figurenaussagen werden die künstlerische Gemachtheit und zeitgleich die Grenzen des eigenen Mediums noch viel expliziter vorgeführt. Zum einen im Gespräch zwischen Omori und Jaco (S.35) und zum anderen in einer Feststellung des Staatspolizisten Katayude (S.162) zum gerade Geschehenen. 
© Carlsen
"Omori: '... Was hatten diese Bewegungen gerade zu bedeuten?' Jaco: 'Die sollten nur den langen Text etwas spannender machen.'"(S.35) und "Katayude: 'D...Das alles ...' '... in nur einem Panel ...'"(S.162).
Derartige Verweise auf die Fikitonalität des Dargestellten, ob es sich um die Panelunterteilung oder die Aussagen der Figuren handelt, finden sich bei Toriyama - meist unter einer scherzhaften Wendung - bereits in seinen ersten drei Kurzgeschichten (Vgl. TSS 3, S.3-49) und fortan in jedem weiteren Werk. Speziell in "Neko Majin" wurde diese Art der selbstreflexiven Komik abermals besonders deutlich (Vgl. TSS 4, S.135 und 153).

Durch das Abbilden von Figuren aus anderen Geschichten wird in "JACO" auf die weiteren Werke Toriyamas verwiesen, wie dies bereits beispielsweise mit Figuren von "Dr. Slump" in "Dragon Ball" der Fall war (vgl. DB 7, S.119-160). Diese intermedialen Verweise spiegeln sich vor allem im Fernseher Omoris wieder, dort sind der Schulrektor aus "Dr. Slump" als Nachrichtensprecher (S.63), "Neko Majin" (S.115) und anderen Figuren auszumachen, die an Charaktere aus "Dr. Slump" erinnern (S.8, 65, 116, 196). 

Gerade beim Blick auf die abgebildeten Medien und wie diese in "JACO" von den Figuren rezipiert werden, lässt sich feststellen, dass die Wahrnehmung der jeweiligen Figuren nie eine uneingeschränkte ist, sondern sie unentwegt von anderen Eindrücken überlagert wird. Was den Betrachtungswechsel der Figuren von einem Medium auf ein anderes, von einem Medium auf die innerfiktive Realität oder umgekehrt nach sich zieht. 
Diese Übergänge sollen im Folgenden an den drei aussagekräftigsten Beispielen dieses Mangas konkretisiert werden. 
  • Es hat den Anschein, dass Omori während des Abendessens eine Nachrichtensendung in seinem Fernseher verfolgt (S.8), im nächsten Panel ist jedoch ersichtlich, dass Omori gleichzeitig in einem Buch namens "HOURS OF OPERATION" liest (S.9), hierauf schaltet er den Fernsehapparat ab und widmet, sich - nach dem Ende seines Abendmahls - bei einer Zigarette ganz der Lektüre (S.9-10). Dieser langsame Übergang weicht durch ein Geräusch und einem sichtbaren ins Meer stürzenden Flugobjekt einem weiteren, in diesem Fall aber rasanten Wechsel, der den Fokus des Protagonisten Omori gänzlich auf das Geschehen vor ihm verlagert (S.10-11). 
  • Katayude unterbricht das Lesen seiner Zeitung, um den Bildern einer Fernsehnachrichtensendung zu folgen (S.136-138), zeitgleich halten Omori, Jaco und Tights in ihrem Abendessen inne und sehen sich ebenfalls diese Sendung an
  • Um den Start einer Rakete besser nachvollziehen zu können, wechseln Jaco und Omori vom Radio auf den Fernseher, worauf die Ankunft des Staatspolizisten Katayude und seiner Polizeieinheit die Konzentration der Beiden auf sich zieht (S.144-149). 
Um das selbstreferenzielle Verweisen und die zahlreichen Anspielungen Toriyamas in diesem Werk verständlicher zu machen, sollen hier schlaglichtartig noch einige Beispiele genannt werden.
Jaco gleicht den Außerirdischen aus "Neko Majin" (vgl. TSS 4, S.43-73) und die beiden Flugobjekte und deren Antennen sind gewissermaßen identisch, wie auch das beide innerhalb der Handlung beschädigt werden und sodann repariert werden müssen. Jacos Phantombilder (S.137,196) erinnern an Zeichnungen von Ultraman und somit eine Figur, die Toriyama in "Dr. Slump" bereits mehrfach gezeichnet hat (vgl. z.B. DS 1, S.28 und DS 2. S.8). Jacos Pieksen einer Krabbe (S.37) erinnert an Arale und eine ihrer Gewohnheiten (vgl. z.B. DS 3, S.153). 
                                                                                                                      © Carlsen / picti mundi
Jacos Sprung und Tritt, sowie die anschließende Explosion (S.180-183), ähneln dem Sprung und Tritt Son-Gokus, sowie der anschließenden Explosion, in seinem letzten Kampf gegen den Roboter der Red-Ribbon-Arme (DB 8, S.169-175).
Der galaktische Weltraumpolizist, der auf der Erde strandet, ist eine Figur die Toriyama Akira schon in den Jahren 1990 und 1991 in seinen drei Kapiteln des Mangas "Cashman - Der Krieger der Sparbüchse" verwendete (TSS 1, S.41-114). Wie bereits in „Go! Go! Ackman!“ (vgl. TSS 1, S.195-198) handelt es sich auch bei der in „JACO“ erwähnten Figur des Weltraumkönigs (S.56 und 244) um einen tintenfischähnlichen Außerirdischen.  
  © Carlsen / picti mundi

Der in die Jahre gekommene Wissenschaftler Omori, lässt nicht nur äußerlich an Sheriff Rao, den einstigen General Shiba, aus Toriyamas "Sand Land" denken, sondern hat auch in seiner Figurenkonzeption und somit auch in seinem Charakterzügen, seiner Persönlichkeit vieles mit diesem gemein. Beide haben ihre Frau durch die Arbeit für die Regierung verloren, worauf sie sich von ihren Vorgesetzten distanzieren und für sich selbst - allein und zurückgezogen - lebten. Ferner werden sowohl Omori als auch Sheriff Rao am Ende des jeweiligen Mangas von einstigen Verbündeten der Regierung in ihrem aktuellen Sterben unterstützt (vgl. S. 189-193 und SL, S.199-212). 
Und viele weitere Kleinigkeiten, die hier nicht alle genannt werden können, aber in Toriyamas bisher genannten und bisher noch nicht genannten Werken zu finden sind. Im Prinzip ist fast alles eine Referenz auf das bisherige Schaffen, was Toriyama so sicherlich nur konzipieren konnte, da er im Ruhestand befindlich ist und somit sich abseits der alltäglichen Produktion die Zeit für eine derart durchdachte  Konzeption nehmen konnte. Besonders ersichtlich ist diese zu vermutende ausgiebige Planung, wenn man sich anhand zweier Zitate Toriyamas, dessen Arbeitsweise und Einstellung gegeben über dem Zeichen bewusst macht. 

  • „Korrekturen mit Weiß mache ich fast nie. Das kommt noch aus der Zeit, in der ich in einem Design-Büro angestellt war, wo man Wert darauf gelegt hat, Korrekturen möglichst zu vermeiden… Unsichere Striche gibt es bei mir so gut wie nicht. Bei Illustrationen ist das etwas anders, aber bei den Manga-Zeichnungen bemühe ich mich darum, alles mit festem, sicherem Strich zu zeichnen… Das kommt wohl daher, dass ich daran gewöhnt bin, direkt mit den Vorzeichnungen anzufangen, ohne vorher Grobentwürfe zu machen. Ich stelle mir die Bildinhalte der einzelnen Panels vor… und projiziere sie dann sozusagen aus meinem Kopf aufs Papier. Auf dem Papier gibt es dann unsichtbare Linien, denen ich beim Zeichnen einfach zu folgen brauche“ (TWS, S. 4).
  • „Mein Stil ändert sich ständig. Ich mache das bewusst, ich möchte niemals mit dem, was ist, zufrieden sein. Also ändere ich immer etwas, versuche ab und zu was Abenteuerliches[…]. Zufrieden bin ich mit meinem eigenen Stil nie“ (TWS, S. 4).
© Carlsen / picti mundi
Um zur Ausgangsaussage und somit zu den detaillierten Hintergründen zurückzukehren, die aller spätestens seit "Dr. Slump", aber im Grunde schon früher, im Schaffen Toriyamas enthalten sind, soll noch bemerkt werden, dass sich diese ebenfalls durch viele schmückende Figurationen auszeichnen. Exempel hierfür wären in diesem Werk die Krabbe (S.37,39,40,48,58,69), die Inselkatze (Cover, S.33,35,48,227), das Seeungeheuer Umibōzu (Cover, S.16,200,201,226) oder auch das schon erwähnte Schweinchen (S.82,84) und viele andere tierische Statisten. 
Das Licht- und Schattenverhältnis und wie mit diesem auf einfachste, aber wirkungsvolle Weise Räumlichkeit erzeugt wird, lässt sich par exellence auf den ersten Seiten des Mangas feststellen (S.9-10). Auch sind es kleine Details, wie das über der Tür hängende Bild der verstorbenen Frau Omoirs (S.8,23), deren sonst nicht erwähnter Name auf dem Grabstein (S.7,31), der Besteckgebrauch (z.B. S.136) oder das fehlende Antennenstück, die der Leserschaft nur bei äußerst genauer oder abermaliger Lektüre auffallen. 
Zudem zeichnet Toriyama seine Figuren keinesfalls eindimensional, sondern erschafft - selbst wenn es sich bei ihnen nicht um Protagonisten handelt - ambivalente Figuren, die auf mehr als nur eine Art begreifbar sind. Die besten Beispiele für diese Behauptung sind vielleicht die Abbildung des Wohnzimmers des Staatspolizisten Katayude (S.137) oder die zusätzlichen Informationen über Tight (S.212-227), die gemeinsam mit dem Gesagt und Gezeichneten am Ende des Mangas der Geschichte eine nicht zu erwartende Wendung verleiht, die dieses Werk zweifelsfrei in das Gesamtwerk Toriyamas eingliedert (S.206-229). 


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Kürzel, der erwähnten Publikationen des Carlsen-Verlages: 

ohne Abkürzung = "JACO - THE GALACTIC PATROLMAN, TWS = THE WORLD SPECIAL Illustraionen, TSS = Toriyama Short Stories, DB = Dragon Ball, DS = Dr. Slump, SL = Sand Land. 

Bei den hier verwendeten Abbildungen handelt es sich um Produkte des Carlsen-Verlages

Zum Zusatzkapitel "Dragon Ball Minus: Das schicksalhafte Kind wird entsendet" soll an dieser Stelle nichts gesagt werden. 

Dienstag, 16. Juni 2015

Eine ergänzende Bildbeschreibung zu Dürers „Marienleben“

Im Grunde handelt es sich um die Bildbeschreibung eines der Holzschnitte des Marienlebens“ Albrecht Dürers (1471-1528), nämlich „Der Verkündigung an Maria“. Dieser Holzschnitt beinhaltet viele wesentliche Neuerungen, die Dürer mit seinem Werk befördert hat, und ist dergestalt eine Ergänzung zum Blogeintrag „Die BedeutungDürers und sein ,Marienleben‘“ vom 09.06.2015.
picti mundi
Albrecht Dürer: Marienleben. Die Verkündigung an Maria.

Der dargestellte Bildraum öffnet sich durch einen Rundbogen und gibt einen dahinter liegenden lichtdurchfluteten, hallenarchitektonisch gestalteten Raum frei. Hinter dem zentralperspektivisch gestalteten Durchblick ist der Raum, in dem sich die Handlung zu vollziehen scheint, eingerichtet. Es lassen sich insgesamt vier Rundbögen erkennen, ein großes Fenster im Hintergrund sowie ein kleines am rechten Bildrand. Auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich ein erhöhter Eingang, der über eine Treppe mit dem tieferliegenden Laufhorizont des Raumes verbunden wird. Dieser wirkt hauptsächlich durch die zur Schaustellung der Architektur und der perspektivischen berechnend durchdachten Anordnung der Linien, als durch Mobiliar oder sonstige raumschmückende Elemente. Die wenigen Gegenstände, die auf dem Holzschnitt erkennbar sind, die Treppe, der Baldachin und Marias Betpult, dienen weniger der perspektivischen Darstellung der Zeichnung als vielmehr einer im Bild untergebrachten christlichen Symbolik.

Das Hauptgeschehen bilden die von Dürer zentral platzierten Personen Maria und der der Erzengel Gabriel. Dieser hat den Vorhang zu Marias Betpult aufgezogen und scheint eiligen Schrittes auf die Jungfrau zugeeilt zu kommen, um ihr die Verkündigung zu überbringen, welche Maria mit frommer demütig wirkender Geste entgegennimmt. Außerhalb des Raumes, im Hintergrund der Szenerie, befindet sich Gott auf einer Wolke sitzend. Hier soll nun eine genauere Bildbeschreibung und Analyse der christlichen Symboliken erfolgen. Zuerst steht das Hauptgeschehen im Vordergrund, bevor anschließend die Gesamtbetrachtung der Illustration von oben nach unten, fortgeführt werden wird. Wie bereits beschrieben nähert sich der Erzengel Gabriel der Gottesmutter um seinen Auftrag auszuführen. Zur Identifizierung seiner Person dient der zuständige Vers des Lukasevangelium (Lk. 26-38), als auch seine Attribute. Diese sind seine Flügel sowie  der Botenstab oder der Lilienstängel, welchen er aufrecht in seiner linken Hand hält und der ihn als Götterbote preisgibt. Ebenso der einer Krone oder einem Diadem ähnelnde Kopfschmuck, welchen er als gesandter des Himmelreiches auf dem Haupt trägt.[1] Seine göttliche Botschaft, verkündet der Erzengel Gabriel durch den in der christlichen Religion ausgeübten üblichen Segnungsgestus, welchen er mit seiner rechten Hand ausübt. Durch die Rolle als Botschafter Gottes wird er hier zum sogenannten Deuteengel, lat. auch „angelus interpres.“[2] Ihm gegenüber befindet sich Maria, die sich mit ihren Armen bekreuzigt und mit dieser Geste als auch mimisch mit einem frommen Lächeln und nach unten geneigtem Kopf, die Botschaft entgegennimmt. Über ihr schwebt der Heilige Geist in Gestalt einer Taube, dessen heilige Erscheinung von Dürer durch ein angedeutetes Leuchten oder Strahlen dargestellt wird. Vor ihr befindet sich das Betpult mit Gebetbüchern, wovon eines aufgeschlagen daliegt und möglicherweise als Bibel zu identifizieren ist. Diese Interpretation ist sinnig, da die Verkündigung im Alten Testament durch den Propheten Jesaja mit den Worten, „darum wird euch der Herr selbst ein Zeichen geben: Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel, “[3] (Jesaja 7, 14) angekündigt wird. Hinter Maria befindet sich der Betstuhl, welcher von einem Baldachin abgetrennt ist. Dies, ein Hoheitssymbol aus der antiken Kaiserikonographie, weist möglicherweise durch den geöffneten Spalt auf die verheißende Erscheinung Gottes in der Welt hin.[4] Zur Identifizierung Marias als unbefleckte jungfräuliche Empfängerin und zukünftige Mutter des Gottessohnes, Jesus Christus, dient die im Vordergrund am Sims des Rundbogens angebrachte Lilie. Diese ist ein typisches Attribut Marias in der Bildenden Kunst und ein Symbol für ihre Reinheit und Frömmigkeit.

Im oberen Bildbereich befinden sich die Rundbögen, welche mit großen Quaderblöcken gestaltet sind. Aufgrund der Anzahl, dreizehn Blöcke, werden diese von Dornik-Eger als Jesus und die zwölf Jünger interpretiert.[5] Da sich aber keine weiteren Hinweise auf das Vorhandensein der Jünger in diesem Bild finden lassen, ist eine genaue Aussage darüber, ob dies nun Zufall ist oder von Dürer beabsichtigt wurde, schwierig zu treffen. Weitere architektonische Bauelemente, die das mögliche Vorhandensein von Heiligkeit implizieren, sind außerdem die drei, im Gebälk platzierten kreisrunden Öffnungen, die auf die Trinität, die heilige Dreifaltigkeit, hinweisen. Eindeutiger kann die unter dem Dachstuhl dargestellte heroische Gestalt der Heiligen Judit mit Schwert und Kopf des Holofernes (Judit 1-16) benannt werden.  Diese Darstellung hat eine lange Tradition und ist bis heute ein beliebtes Thema in der Malerei. (Beispiele; Michelangelo, Caravaggio, Artemisia Gentileschi, Gustav Klimt; Abbildungen 9,10,11,12). Unterhalb der Heiligen Judit, außerhalb des Raumes, befindet sich der Gottvater, sitzend auf einer Wolke, womöglich als Lenker der Geschicke. In diesem äußeren Bereich befindet sich außerdem die Darstellung einer Landschaft mit Bäumen und einem Gebäude. Um was für eine Art von Gebäude es sich handelt ist nicht genau nachgewiesen, jedoch lassen die Bauweise sowie die Entstehungszeit und die damit verbundene Italienreise Dürers, möglicherwiese auf die gezeichnete Wiedergabe eines antiken Tempels schließen. Wieder innerhalb des primären Betrachtungsraumes befinden sich zwei Ankerbalken, die eine räumliche Abgrenzung schaffen. Vor allem der hintere Balken weist diese Eigenschaft auf, da er sich durch seine Anordnung optisch genau zwischen Gott und Maria befindet. Die Bedeutung dieser Darstellung ist nicht sicher geklärt, lässt aber die Vermutung zu, dass es sich hierbei um die beabsichtige Teilung der himmlischen Sphäre und der weltlichen handelt.[6] 
Albrecht Dürer: Marienleben. Impressum und Nachdruckverbot.
Links unterhalb auf einem Sims des Ankerbalkens befindet sich ein Kerzenständer mit einer Kerze. In der christlichen Symbolik bringt dieser Licht und Leben und verkörpert in Verbindung mit dem ewigen Licht die Anwesenheit Gottes.[7] 

Albrecht Dürer: Mariens Verehrung.
Dies ist ein von Dürer bewusst in verschiedenen Szenen des „Marienlebens“ eingesetztes Element. Zum einen wohl aus den profanen Zwecken der Raumausschmückung, zum anderen aber sicherlich auch um das Wirken heilig erscheinen zu lassen. Zwischen Kerzenständer und dem Treppengeländer befindet sich ein Weihwasserspender oder auch Wasserkessel, welcher über einem Waschbecken angebracht ist, und ebenfalls die Reinheit und Makellosigkeit Marias symbolisiert, sowie die Geburt Jesu. Die sieben Stufen der bereits erwähnten Treppe stellen möglicherweise die sieben Gaben des Heiligen Geistes dar, fallen aber ebenfalls in die Kategorie der nicht genau identifizierbaren Symbole, da auch hier keine eindeutigen Hinweise auf einen christlichen Zusammenhang gegeben sind. Nach Strauss deuten die Treppenstufen auf den Pfad zum Himmel hin. Unterhalb der Treppe befindet sich ein Wesen, von dem nur der Kopf zu erkennen und das mit einer Kette an der Wand befestigt ist. Die Interpretation, ob es sich um ein reales Tier oder ein Fabelwesen handelt, ist aufgrund des begrenzten Ausschnittes nicht klar. So wird dieses in der Literatur durchaus kontrovers betrachtet und mit den unterschiedlichsten Deutungsansätzen versehen. So ist bei Heller die Rede von zwei Schweinen, Tietzes sieht in ihm einen ägyptischen Kynekephalos, Timm identifiziert es als Dachs- oder Wildschweinkopf und Fehl als einen Dachs mit den Stacheln eines Stachelschweines.[8] Eisler liefert hier die wohl plausibelste Interpretation, welcher in dem Wesen einen Fuchs vermutet.[9] Bei Betrachtung der schriftlichen Quellen als auch anderer mittelalterlichen Illustrationen ist dies auch eine nicht unwahrscheinliche Vermutung, da das Wesen vermutlich die Darstellung eines Wesens ist, das zu Dürers Lebzeiten sowohl Thema in der Kunst, in Religion und im Alltagsleben war. Ein Beispiel hierfür ist der Wolf oder auch der bereits erwähnte Fuchs, welcher bereits in früheren mittelalterlichen Illustrationen als ernstzunehmende Plage der Bauern beschrieben wird. Im Stundenbuch der Charlotte von Savoyen, aus dem 15. Jahrhundert lassen sich zum Beispiel Darstellungen finden, in denen der Fuchs als reales Übel und Gefahr für das Vieh geschildert wird. 
Albrecht Dürer: Der Fuchs und die Zeit drehen das Glücksrad.
Die Darstellungen des Wolfs lassen sich in diesem Zusammenhang ebenfalls finden, wie im Stundenbuch von Rouen. Darüber hinaus finden sich in der Bibel ebenfalls einige Passagen, die den Wolf als das Böse in Erscheinung treten lassen. Im Alten als auch im Neuen Testament lassen sich eine Vielzahl von Erwähnungen finden, in denen der Wolf als Metapher für das Böse verwendet wird. Das geläufigste Beispiel dürfte wohl der Vers „siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe“[10] (Mt. 10, 16) aus dem Matthäusevangelium sein. Die Identifizierung als Fabelwesen mit regionalem Bezug, dessen sich Dürer bediente, ist schwierig nachzuweisen, aber sicherlich möglich. 

Natürlich bleibt dieser Interpretation, wie auch alle anderen Vorschläge, nur ein möglicher Erklärungsversuch. Zur Bedeutung des Wesens liefert Eisler den Vorschlag, es stelle als Fuchs die Verkörperung des gebändigten Bösen dar. [11] Betrachtet man sich darüber hinaus weitere Werke Dürers, so bestätigt sich diese Vermutung. Der Fuchs ist bei Dürer eine immer wiederkehrende Tierdarstellung so zum Beispiel in seinem Holzschnitt „Der Fuchs und die Zeit drehen das Glücksrad“, in welchem die Ähnlichkeit des zum dargestellten Tier im Holzschnitt der „Verkündigung an Maria“ nicht zu übersehen sind. Besonders auffällig und übereinstimmend in Bezug auf die Bedeutung des Fuchses ist die Illustration in Dürers Malerei „Maria mit den vielen Tieren“, auf welcher der dargestellte Fuchs, am unteren rechten Bildrand, ebenfalls angekettet ist und erstaunlich große Ähnlichkeiten mit der Darstellung des Tieres in der Verkündigungsszenerie aufweist. 
Albrecht Dürer: Maria mit den vielen Tieren.
Auch wenn mit den hier genannten Aspekten keine abschließende Klärung der Frage, um was für ein Wesen es sich handelt und welche Bedeutung ihm zukommt erfolgen kann, liefern die, auch wenn nur kurz ausgeführten unterschiedlichen Betrachtungen, zumindest die Möglichkeit ein wenig Klarheit in diese Frage bringen.

Dieser Beitrag wurde verfasst von Philippe H.



[1] Vgl. Lucchesi Palli, Elisabeth. Lexikon der christlichen Ikonografie. 1990. Bd. 2. S. 75.[2] Vgl.  http://www.bibelwissenschaft.de/bibelkunde/themenkapitel-at/engel-im-at/[3] Die Bibel. 1999. S. 675.[4] Vgl. Scherbaum, Anna: Albrecht Dürers Marienleben. 2004. S. 147.[5] Vgl. Scherbaum, Anna: Albrecht Dürers Marienleben. 2004. S. 148.[6] Vgl. Scherbaum, Anna: Dürers Marienleben. 2004. S. 146.[7] Vgl. Brückner, Wolfgang: Lexikon der christlichen Ikonografie. 1990. Bd. 2. S. 507.[8] Vgl. Scherbaum, Anna: Dürers Marienleben. 2004. S. 148.[9] Vgl. Eisler, Colin: Dürers Arche Noah. 1996. S. 123.[10] Die Bibel. 1999. S. 14.[11] Vgl. Eisler, Colin: Dürers Arche Noah. 1996. S. 123.