Dienstag, 28. Februar 2017

Visuelle Referenzen und die Hölle des Anderen

    Um die Sinnig- und Vielschichtigkeit solcher visueller Verweise, auch wenn sie mitunter nicht sofort ersichtlich sein müssen, aufzuzeigen, soll hier vorderhand flüchtig auf zwei motivische Beispiel aus der bildenden Kunst geblickt werden. Caravaggios Gemälde „Die Berufung des Heiligen Matthäus“, welches unter anderem über die Lichtkomposition und das händische verbildlichen von Blickrichtungen viel über die religiös verstandene Macht Jesus Christus zeigt, aber vor allem über die erhobene Hand von Christus mit ein Zitat aufwartet, das deshalb von besonderer Aussagekraft ist, da sich Caravaggio mit dieser wie Lustlos empor gereckten Hand auf Michelangelos' „Die Erschaffung Adams“ bezieht. 
    Bei genauerer Begutachtung sieht der Betrachtende, dass die Hand von Caravaggios Christus in eben der Weise dargestellt worden ist, wie zuvor die Hand von Michelangelos Adam, jedoch ist bei beiden die Richtung eine andere. Die Richtung ist die des Arm Gottes, wodurch im Gemälde Caravaggios der göttliche Geist in seiner Mensch gewordenen Form in Erscheinung tritt. Caravaggio ist es durch den Rückgriff auf ein vorheriges Werk also gelungen die Inkarnation, wie sie die traditionell christliche Theologie verstand, in einer Kleinigkeit wiederzugeben.1 Ein verbildlichter Verweise referiert im Idealfall auf eine konkrete Sache, wie bei ebenjenem rezitierten Fall, kann jedoch auch einen ganzen Fundus an Anspielungen evozieren, wie etwa am Beispiel des Apfels festzumachen ist. Er kann eine Referenz auf den Zankapfel der um Schönheit streitenden Göttinen, auf die Frucht der Erkenntnis und somit die Abkehr von göttlichen Mahnungen, auf Lust und deren verschiedenartigen Ausschweifungen, auf die unfehlbare Treffsicherheit eines Schützen, auf eine gewisse Maltradition mit allen dort enthaltenen Implikationen, auf ein durch Mißgunst vergiftetes Geschenk oder auf die Absurdität von Vorstellungen und Denkgewohnheiten im Allgemeinen sein. Was sich hinter jedem einzelnen Apfel verbergen mag, ist folglich nicht immer mit absoluter Bestimmtheit auszumachen.
    Erst der genaue Kontext kann eine mögliche Gewissheit über die jeweils intendierte Anspielung und die damit heraufbeschworene Bedeutung schaffen. Nachdem hier nun grob gesagt wurde, was visuelle Referenzen hervorbringen können, wird sich dieser Blogeintrag im Folgenden etwas genauer der bildhaft gewordenen Verdammung und ihrem dämonisch infernalen Gräuel widmen. „Bis ins Zeitalter des wissenschaftlichen Fortschritts haben die Menschen bereitwillig an eine Fortsetzung des Lebens nach dem Tode geglaubt. Dieser Glaube lässt sich bereits bei den frühsten Grabopfern [...] konstatieren“2 und führte dazu, dass dieses Element einen „allen alten Religionen und dem Christentum gemeinsamen Fundus“3 bildet. Im Christentum wurde, auch wenn sich die jeweiligen Vorstellungen im Verlauf der Zeit veränderten,4 „die sehr alte Vorstellung des Weiterlebens in einer traurigen und grauen Unterwelt und die jüngere, weniger volkstümliche und strengere eines moralischen Gerichts wiederaufgenommen.“5

    „Die Zuspitzung des Gerichtsthemas auf laster- und sündhafte Höllenszenerien ist paradigmatisch für den Maler Hieronymus Bosch. Welch maßgeblichen Einfluss er damit auf die ihm nachfolgenden Generationen ausübte, zeigt beispielhaft das Weltgerichtstriptychon in Brügge […], das von einem Werkstattmitarbeiter oder einem Maler im unmittelbaren Umkreis Boschs gefertigt wurde. […] Die Mitteltafel zeigt eine höllische Landschaft, in der die Menschen von Dämonen, Mischwese und riesigen Maschinen gequält werden: Ein gigantisches Messer trennt Gliedmaßen ab und ein Mühlstein zerquetscht hilflose Opfer. […] Die himmlische Szenerie der linken Tafel unterscheidet sich kaum von der infernalen, obwohl ein friedlicher Ausblick auf eine weite Landschaft mit Bäumen und Seen zu erkennen ist. […] Nur ganz klein im Hintergrund ist der Aufstieg einiger weniger Seelen in das himmlische Paradies auszumachen.“6
    Die auf die mittlere Tafel des Triptychons übergreifende Höllenszenerie, wie sie auch bei Boschs Wiener Triptychon zu finden ist, verlagert den eigentlichen dreigeteilten Fokus eines Triptychons mit der zentralen Mitteltafel und betont hierdurch die höllischen Qualen der Sünder, was darüber hinaus ebenfalls durch die Auswahl von nur wenigen Seelen für das Himmelsreich verdeutlicht wird.7 Anhand dieser Abbildungen wurde „[d]em Betrachter […] das erschreckende Bewusstsein vermittelt, eines Tages in dieser Weise bestraft zu werden“8, was ihn zum Überdenken seiner Taten und der rechtzeitigen Umkehr auf einen bereuenden und büßenden Weg bringen sollte.9 Im Weltgerichtstriptychon Hieronymus Boschs wird dieser Umstand vermittels der detaillierten Abbildungen noch einmal bekräftigt. Die „hybriden Geschöpfe sind eine extravagante Weiterentwicklung eines in der mittelalterlichen Kunst häufig eingesetzten Motivs.“10 „Da in der Bibel das Aussehen der Dämonen nicht beschrieben ist, konnten die Künstler nach Belieben eigene Gestalten für sie erfinden. [...]Oft wirk[t]en Dämonen wie eine verkleinerte Version von Satan; unweigerlich sind sie so hässlich wie nur möglich, ein Mischmasch aus verschiedenen Tieren mit annähernd menschlicher Form.“11 Dass solche dämonischen Kreaturen12 und infernalen Szenerien „mit all der technischen Meisterschaft“13 gemalt worden sind, „die Künstler normalerweise der illusionistischen Darstellung der natürlichen Welt widme[te]n“14, führte über die Kirchenkunst dazu, „daß alle Menschen des Mittelalters auf Erlösung hofften und der Tag des Jüngsten Gerichts von niemandem bezweifelt wurde.“15
    Mit seinem knapp zehnminütigen Anime „Kiseichuu no Ichiya“, „Die Parasiten einer Nacht“, entnimmt Kuri Yoji den Bildnissen Boschs seine grässlichen Gestalten, um sie in filmischer Form belebt nebeneinander zu reihen. Wie exakt sich die Zeichnungen an den aus dem späten 15. und frühen 16. Jahrhundert stammenden Vorlagen orientierten, ist bereits bei einem flüchtigen Blick zu erspähen. Wo die Werke Boschs das Unheil zeitgleich und verdichtet zeigten, führt „Die Parasiten einer Nacht“ diese Schreckenserscheinungen nach und nach, in einer unentrinnbaren Klarheit, am Sichtfeld der Zuschauenden vorüber. All jene Bezüge an Hieronymus Boschs grauenerregende Höllenszenerien mit ihren divergenten Dämonen erwecken, nachdem sie der Kurzfilm Kuri Yojis gewissermaßen durch seine Animation erwachen ließ, im modernen Publikum entweder ein ähnliches Unbehagen, wie es einst jene Kreaturen Boschs hervorriefen, was letztlich noch durch die Musik heraufbeschworen wird oder aber wirken durch die bizarren Bilder nunmehr wie eine groteske Humoreske. 

2 Ariès, Philippe: Geschichte des Todes. 5. Auflage. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1999. S. 123.
3 Ebd.
4 Vgl. Ariès, Philippe: Geschichte des Todes. 5. Auflage. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1999. S. 124.
5 Ariès, Philippe: Geschichte des Todes. 5. Auflage. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1999. S. 123.
6 Cagol, Elonora: Das Jüngste Gericht. In: Staatliche Kunstsammlungen Dresden (Hrsg.): Hieronymus Boschs Erbe. Deutscher Kunstverlag, Berlin 2015. S. 121.
7 Vgl. Ebd.
8 Rembert, Virgina Pitts: Bosch. Hieronymus Bosch und die Lissabonner Verführung: Eine Perspektive aus dem dritten Jahrtausend. Parkstone International / Kroemer, Köln 2004. S. 148.
9 Vgl. Cagol, Elonora: Das Jüngste Gericht. In: Staatliche Kunstsammlungen Dresden (Hrsg.): Hieronymus Boschs Erbe. Deutscher Kunstverlag, Berlin 2015. S. 114.
10 Vgl. Rembert, Virgina Pitts: Bosch. Hieronymus Bosch und die Lissabonner Verführung: Eine Perspektive aus dem dritten Jahrtausend. Parkstone International / Kroemer, Köln 2004. S. 117.
11 Dell, Christopher: Monster. Dämonen, Drachen und Vampire – Ein Bestiarium. Christian Brandstätter Verlag, Wien 2010. S. 30-32.
12 Die Scholastik des 13. Jahrhunderts war maßgeblich für die Akzentuierung und die Systematisierung der Dämonologie verantwortlich. Thomas von Aquin bestand auf der Existenz eines Reichs der Dämonen unter der Herrschaft des Teufels, die den Menschen mit Gottes Erlaubnis jederzeit attackieren konnten. Beim Tod des Menschen stritten Satan und seine Dämonen mit den Engeln um die Seelen der Verstorbenen und konnten, wenn sie erfolgreich waren am Menschen furchtbare Rache für die in seinem Leben begangenen Sünden nehmen. Für die Analphabeten, die die schwierigen theologischen Texte nicht lesen konnten, wurden Aussehen und Praktiken der Teufel ebenso wie Gott und seine Helfer in Skulpturen an Kirchenwänden und Bildern in den Fenstern und in Manuskripten abgebildet.“ In: Rembert, Virgina Pitts: Bosch. Hieronymus Bosch und die Lissabonner Verführung: Eine Perspektive aus dem dritten Jahrtausend. Parkstone International / Kroemer, Köln 2004. S. 148.
13 Rembert, Virgina Pitts: Bosch. Hieronymus Bosch und die Lissabonner Verführung: Eine Perspektive aus dem dritten Jahrtausend. Parkstone International / Kroemer, Köln 2004. S. 117.
14 Ebd.
15 Mischke, Marianne: Der Umgang mit dem Tod. Vom Wandel in der abendländischen Geschichte. In: Forschungszentrum für Historische Anthropologie der Freien Universität Berlin (Hrsg.): Reihe Historische Anthropologie. Band 25. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 1996. S. 39. 

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